Die Gynäkologen Ulrich Gigon (1940-2015) und Rolf Haldemann (1943-2004) praktizierten die sog. heterologe Insemination (siehe Ausführungen hiernach) mit Spendersamen am Universitätsspital Bern. Ihre von 1974 bis 1978 erzielten Resultate fassten sie in einem entsprechend bezeichneten Papier zusammen.
Gigon/Haldemann stellten fest, dass viele Paare mit Kinderwunsch eine Insemination der Adoption vorziehen. Diese Paare erhofften sich bessere psychologische und genetische „Effekte“ durch die Insemination.
Den beiden Gynäkologen war aber klar, dass die rechtliche Situation in Bezug auf die so gezeugten Kinder alles andere als klar war. Insbesondere erschien es ihnen möglich, dass die Spenderkinder dereinst einen eigenen gesetzlichen Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft erhalten könnten. Dieses Risiko dürften Gigon/Haldemann als eher gering eingestuft haben. Denn erstens behandelten sie nur Frauen in fester Beziehung, die meisten davon verheiratet. Bei einer überwiegenden Zahl galt daher die Vaterschaftsvermutung des Gesetzes zugunsten des Ehemannes. Bei den Konkubinatspaaren konnten sie davon ausgehen, dass die Männer die Kinder als ihre eigenen anerkennen würden.
Ein Restrisiko blieb trotzdem: Männer, die ihre Vaterschaft – aus welchen Gründen auch immer – anfochten. Selbst dieses Restrisiko erschien indes tragbar: Hätte ein Mann oder ein Kind die Vaterschaft erfolgreich bestritten, wäre das Kind vaterlos geworden. In der Folge wäre ein Vaterschaftstest angeordnet worden. Diese Tests basierten damals auf einer Begutachtung der Blutgruppen von Kind, Vater und Mutter. Gigon/Haldemann waren hier einen Schritt voraus: Ihr einziges Kriterium zur definitiven Auswahl des Spenders war dessen Blutgruppe, die zum späteren rechtlichen Vater passen musste, sodass das Kind trotz Vaterschaftstest als dasjenige des Paares angesehen werden konnte.
Indem Gigon/Haldemann die Samen verschiedener Spender mischten und bei der Behandlung keinerlei „Paper Trail“ in Bezug auf die Identität des Spenders hinterliessen, machten sie dessen Identifizierung nach damaligen Massstäben nahezu unmöglich. Der Partner der Frau war somit als rechtlicher Vater ein ziemlich sicherer Wert. Gigon/Haldemann machten sich offensichtlich keine grossen Sorgen. Ihren Hinweis auf rechtliche Unwägbarkeiten endete wie folgt: „Trotz der rechtlichen und moralisch-theologischen Probleme wächst die Zahl der verheirateten Paare, die eine AID [Artifizielle Insemination mit Spendersamen] wünschen, rapide“.
Gigon/Haldemann behaupten, zwischen 1974 und 1978 seien am Inselspital 605 Paare behandelt worden.
Als Indikationen zur AID nannten sie: Unfruchtbarkeit des Mannes (591 Fälle). Auch beschrieben sie eine „relativ neue Indikation“: Erbkrankheiten in der Familie des Mannes, Rhesus-Inkompatibilität, Myotone Dystrophie (Muskelkrankheit), Osteopetrose (Marmorknochen), Cystische Fibrose (Stoffwechselkrankheit), Muskelschwund, Trisomie, etc.
Eine Untersuchung der Frau erfolgte nur, wenn ihre Krankheitsgeschichte dies nahelegte.
Die Auswahl der Spender erfolgte in Bern (gemäss Gigon) anhand vier Kriterien:
- Anamnese: keine Erbkrankheiten, keine Missbildungen, keine Geisteskrankheiten und keine Diabetes in der Familie
- Alter: < 35 Jahre (Anmerkung: in bekannten Fällen wurden auch ältere Spender verwendet)
- Intelligenz: Studenten (Anmerkung: in bekannten Fällen wurde davon abgewichen)
- Charakter: sozial geeignet
Wie die Rekrutierung tatsächlich ablief, lässt sich dem Beitrag „Ich war die Nummer 81“ entnehmen.
Der Frau wurden (gemäss Gigon) Arzneistoffe zur Auslösung eines Eisprungs verabreicht, und zwar „fairly generously“, um einen Erfolg so rasch wie möglich herbeizuführen und damit die Belastung des Paares auf ein Minimum zu reduzieren. Während eines Zyklus wurde dreimal inseminiert: 72, 48 und 24 Stunden vor dem errechneten Eisprung. Das frische oder aufgetaute Sperma wurde parazervikal Mittels „portio cap“ eingeführt.
Von den 605 behandelten Frauen wurden 454 schwanger, was einer Erfolgsrate von 74% entspricht. Gigon/Haldemann halten fest: Wenn man die sich noch in Behandlung befindlichen Frauen ausser Acht lasse und auch jene Fälle nicht mitzähle, in denen die AID aufgrund anatomischer Defekte abgebrochen wurde, so sei die Erfolgsrate sogar noch besser.
Gigon/Haldemann widersprachen der Ansicht verschiedener Berufskollegen, wonach die AID-Behandlung nach 6 erfolglosen Versuchen abgebrochen werden solle. In Bern stellten sich auch in der Gruppe „12. bis 20. Versuch“ Erfolge ein. Die hohe Rate an Zwillingsschwangerschaften wurde auf den grosszügigen Gebrauch von Eisprung-fördernden Arzneien zurückgeführt.
Von den 454 Schwangerschaften verliefen offenbar deren 70 (15.2 %) abnormal. Diese 70 fassten Gigon/Haldemann so zusammen: 59 „abortions“, 4 „inauterine deaths“ und 7 „malformations“. Unter den 59 Fehlgeburten waren 2 Kinder mit Chromosomenfehlern. Dazu Gigon/Halemann: „From routine antenatal amniocentesis, we were able detect two chromosome abnormalties in sufficient time (16th week of pregnancy). They consisted of one trisomia and one translocation […]. Abortion was induced […].” Gigon/Haldemann waren jedenfalls der Ansicht, dass AID-Schwangerschaften risikoreicher seien als andere. Daher verlangten sie mindestens folgende Untersuchungen: Fruchtwasserentnahme in der 16. Woche mit Chromosomanalyse und Bestimmung des Alpha-Fetoproteins (erlaubt Hinweise auf bestimmte Fehlbildungen), Ultraschall, weitere Massnahmen bei Rh-negativen Frauen.
Quelle: Results of Heterologous Insemination at the University of Berne Gynecology Clinic, U. Gigon/R. Haldemann.
Aus Sicht einer am Inselspital behandelten Frau verlief das Prozedere wie folgt:
„Die erste Konsultation bei Dr. Gigon fand als Paar statt. Bis zur Schwangerschaft (16 Behandlungen) habe ich Dr. Gigon etwa 2-3 Mal getroffen.
Gigon hat den Kinderwunsch abgeklärt, auf psychische Komplikationen aufmerksam gemacht, die Bedingungen formuliert:
- Absolute Diskretion
- Keine schriftliche Dokumentation für das Paar.
- Keine Information über die Identität der Spender.
- Spender werden an der Uni Bern rekrutiert.
- Spender werden getestet auf Gesundheitszustand, Erbkrankheiten, (etc.?).
- Blutgruppe, Augenfarbe müssen mit einem Elternteil übereinstimmen.
- Inseminat besteht aus einem Cocktail von drei Spendern, damit die Zuordnung zu einem konkreten Spender durch das Personal nicht gemacht werden kann.
- Die Insemination wird durch eine Krankenschwester ausgeführt.
- Nach der Insemination eine Stunde liegenbleiben, Bargeld auf dem Bett deponieren, auf französisch verschwinden.
- Keine Korrespondenz
- Keine Rechnungen
- Nichts Schriftliches
Nachdem die Schwangerschaft eingetreten ist, gab es keinen Kontakt mehr zum Inselspital.“