genetische Genealogie

Wir finden. Jeden.

Sie suchen einen nahen Verwandten, haben aber null Anhaltspunkte? Sie verzweifeln am Gedanken, wie sich die Nadel im Heuhaufen finden lässt? Wir zeigen Ihnen, wie es geht. 

Willkommen zur Einführung in die genetische Genealogie.

Wenn Sie sich dieser zeitintensiven Beschäftigung stellen wollen, ist es für Ihr Nervenkostüm von Vorteil, wenn Sie Puzzles mögen oder zumindest ein gutes Mass an Frustrationstoleranz, Neugierde und geistiger Beweglichkeit mitbringen. Spannend wird es auf jeden Fall: Schliesslich ist das Ihr persönliches Puzzle. Nehmen Sie Abschied von der Idee, dass Sie nach einer ähnlichen Nase oder gleichartigen Augen suchen. Aus hinreichender Erfahrung wissen wir: Der Vergleich der Physiognomie führt nirgendwohin.

Sie brauchen ein Minimum an Vorwissen, das Sie sich durch die Lektüre des Kapitels DNA-Test aneignen können. Ausserdem sollten Sie wissen, wie man Stammbäume zeichnet; dazu gibt es kostenlose Möglichkeiten, z.B. online bei FamilySearch, oder lizenzierte Software, z.B. Ages oder Heredis.

Weil diese Website anonyme Samenspenden zum Thema hat, lesen Sie hier, wie man bei der Suche nach einem unbekannten Erzeuger vorgeht. Dieser Artikel führt Sie nun Schritt für Schritt durch die Anleitung.

Das Prinzip der DNA-Suche lässt sich übrigens fast beliebig anpassen, solange eine Grundregel beachtet wird: Wir benötigen eine hinreichende Menge an DNA der gesuchten Person.

Jeder kann gefunden werden. Wir brauchen nur einen Teil seiner DNA.

Lassen Sie uns mit einer kleinen, leider durchaus wahren Geschichte beginnen: In den Jahren 1973 bis 1986 versetzte ein Serienmörder Kalifornien in Angst und Schrecken. Der bald als Golden State Killer bekannte Unbekannte konnte Jahrzehntelang nicht überführt werden: Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen blieb erfolglos. Zunächst.

Mit dem Aufkommen von DNA-Analysen wurden die Asservate der damaligen Tatorte nochmals untersucht. Dabei fiel auf, dass eine DNA-Spur in jedem Asservat zu finden war: Es musste sich um die DNA des Täters handeln.

Der entscheidende Fortschritt bei den Ermittlungen ereignete sich, als die Ermittler die öffentliche Genealogie-Datenbank GEDmatch durchsuchten. Mit diesen öffentlichen DNA-Datenbanken können Interessierte Informationen zu ihrer Abstammung und ihren verwandtschaftlichen Beziehungen erhalten, indem sie auf GEDmatch Rohdaten der DNA-Analyse speichern. Zu jenem Zeitpunkt verfügte GEDmatch über 900.000 DNA-Profile, und es fanden sich einige, die mit dem Profil des Täters teilweise übereinstimmten, also von Verwandten stammten. Später stellte sich heraus, dass diese Profile von Cousins dritten und vierten Grades des Hauptverdächtigen stammten. Der Hauptverdächtige hatte mit ihnen lediglich gemeinsame Ur-Ur-Ur-Großeltern, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelebt hatten. Die mit dem Fall befassten fünf Polizeiermittler mussten über Monate hinweg einen ganzen Familienstammbaum mit Tausenden Verwandten bis in die Gegenwart durchforsten. Diese Hypothese wurde weiter verfolgt und führte zum Mordverdächtigen, der die Taten im Jahr 2020 gestand.

Wir sehen also: Der Verdächtige hat sich nicht selber preisgegeben, vielmehr waren es seine entfernten Verwandten. Ohne zu wissen, dass in ihre weitere Familie einen Kriminellen hervorgebracht hat, ja ohne den Verdächtigen überhaupt zu kennen, gaben ihre DNA-Segmente die entscheidenden Hinweise. Angereichert um einen umfangreichen Familienstammbaum, der mittels Profiling-Methoden gefiltert wird, ergibt dies den möglichen Täter.

Es ist durchaus denkbar, dass sich auch hierzulande Ermittler dieser Methode bedienen, freilich ohne dies öffentlich zu machen. So ist etwa nach wie vor unbekannt, wie es den Ermittlern im Vierfachmord von Rupperswil gelang, den Täter in relativ kurzer Zeit treffsicher zu identifizieren.

Für das Vorgehen ist es einerlei, ob ein Serienmörder oder ein Samenspender gesucht wird: Beiden ist gemeinsam, dass sie DNA-Spuren hinterlassen. Beim Kriminellen befinden sich diese am Tatort, während die Kinder eines Spenders die DNA der gesuchten Person teilweise in sich tragen und diese durch Analyse des eigenen Genoms in die Datenbanken einspeisen können. Es bedarf nicht einmal des gesamten Genoms; es genügt vielmehr ein Teil davon. Dieser muss allerdings von hinreichender Grösse sein.

Schritt 1: Treffer sortieren. Wir suchen nur die Verwandten väterlicherseits.

Jeder Mensch trägt das autosome Genmaterial seiner Eltern je etwa zur Hälfte in sich. Nur: Welche Hälfte ist vom Vater, welche von der Mutter?

Das praktische an Datenbanken ist, dass wir die Daten filtern können. Wir bringen also Bedingungen und Kriterien ins Spiel, um der Trefferflut Herr zu werden – und die Frage nach der paternalen DNA zu beantworten.

Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten. Welche Sie wählen, hängt davon ab, ob Sie Halbgeschwister haben, also Geschwister, die vom selben Erzeuger stammen.

Wenn Sie Halbgeschwister haben, stellen Sie die Filter in den Datenbanken (von MyHeritage, 23andMe, ftDNA, etc.) so ein, dass nur diejenigen Treffer angezeigt werden, die auch mit den Halbgeschwistern verwandt sind. Das müssen zwingend Verwandte des Spenders sein.

Wenn Sie keine Halbgeschwister haben, geht es auch andersrum: Wenn Ihre Mutter einen Test macht, dann können Sie sich umgekehrt diejenigen Treffer anzeigen lassen, die nicht auch mit Ihrer Mutter verwandt sind (Ausschlusskriterium).

Mit beiden Methoden bleiben die paternalen Verwandten übrig. Von denen werden Sie in den verschiedenen Datenbanken viele finden. Nun räumen wir dort auf. Es folgt

Schritt 2: Nahe paternale Treffer identifizieren.

Nun lassen Sie sich diejenigen Treffer anzeigen, die mit Ihnen am nächsten Verwandt sind, d.h. die meisten DNA-Segmente teilen. Hierzu gibt es Filtereinstellungen in den Datenbanken.

An diesem Punkt hilft es, wenn Sie Halbgeschwister haben: Es ist wegen der Rekombination beim Erbvorgang nämlich so, dass völlig unterschiedliche Segmente (in unterschiedlicher Länge) vererbt werden. Der Spender hat Ihnen zwar die Hälfte seines Erbguts eingepflanzt, aber vielleicht befindet sich in dieser Hälfte dummerweise gerade nicht der Teil, den ein bestimmter Verwandter auch (vom selben Vorfahr) vererbt erhalten hat.

Ein Beispiel: Ein Cousin dritten Grades teilt mit Ihnen 0-237 cM. Das bedeutet, dass besagter Cousin mit Ihnen z.B. genetisch gar nicht verwandt sein kann, während Ihr Halbgeschwister mit ihm sehr viele gemeinsame DNA teilt. Bei Ihnen würde dieser Cousin also gar nicht (oder sehr entfernt) auf dem Radar auftauchen, während er tatsächlich nah verwandt ist; was Sie aber nur erfahren, wenn Sie jemanden mit dem Cousin vergleichen können, der zufällig mehr DNA mit ihm hat.

Es gilt: Je mehr Halbgeschwister Sie in der Datenbank haben, desto eher finden Sie die wirklich nahen Verwandten. Je mehr Kinder des Spenders bekannt sind, desto vollständiger ist auch die DNA des Spenders in den Datenbanken vertreten. Und desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Treffer mit den Segmenten von nahen Verwandten ergeben.

Aber keine Sorge: Es geht auch ohne Halbgeschwister. Allenfalls „übersehen“ Sie dann einen nahen Verwandten. Das verlängert zwar Ihre Suche zeitlich, ist aber ansonsten verkraftbar.

Wen wir tatsächlich suchen, wenn wir den Erzeuger suchen: nicht ihn, sondern seine Vorfahren

Nun wird’s spannend: Picken Sie die 8-10 nahesten Verwandten väterlicherseits heraus.

Von diesen Personen wissen wir: Sie sind alle mit Ihnen und mit dem Spender verwandt. Nun geht es darum, herauszufinden, wie diese Personen mit dem Spender verwandt sind.

An dieser Stelle verlassen wir die Datenbank kurz und führen uns eine offensichtliche Wahrheit vor Augen, die für unsere Suche aber von grösster Relevanz ist: Jeder Mensch hat – genetisch – einen Vater und eine Mutter. Oder andersrum: Die Mutter als Vertreterin ihrer Familie und der Vater als Vertreter seiner Familie treffen aufeinander und aus dieser Verbindung geht ein Kind hervor. Stellen Sie sich das kurz bildlich vor – Sie haben eine Verwandtschaft mütterlicherseits und eine Verwandtschaft väterlicherseits. Und jetzt kommt das Wichtige: Die beiden Verwandtschaften haben miteinander nichts zu tun. Die einzelnen Mitglieder der Mutter-Familie sind (oder sollten) mit den Mitgliedern der Vater-Familie nicht verwandt sein. Diese Regel trifft in den meisten Fällen zu, weil sich die Wege zweier Familien in der Regel über einige Generationen hinweg nicht mehrfach kreuzen. Natürlich: Keine Regel ohne Ausnahme.

Das soeben gesagte gilt sowohl für den Spender als auch für dessen Eltern. Auch sie sind das Ergebnis aus der Kreuzung je zweier Familien. Wenn wir den Spender suchen, suchen wir darum nicht ihn, sondern seine Eltern mit ihren jeweiligen Familien. Vielleicht waren es auch seine Grosseltern oder gar Urgrosseltern, welche die Familien verbinden. Letztlich ist nur relevant, dass wir mit dieser Recherche die Linie identifizieren, die aus dieser Verbindung entstanden ist.

Damit zurück zu den Datenbanken und den nahesten Verwandten. Jeder dieser Treffer ist also mit den anderen Treffern entweder verwandt oder nicht. Um das herauszufinden, nutzen Sie wieder die Einstellungen in den Datenbanken. Nun teilen Sie diese Treffer auf zwei Gruppen auf: In Gruppe A sind alle miteinander verwandt. In Gruppe B sind alle miteinander verwandt. Mitglieder der Gruppe A sind aber nicht verwandt mit den Mitgliedern der Gruppe B und umgekehrt. Wenn Sie das gemacht haben, haben Sie faktisch die Verwandten sowohl der mütterlichen als auch der väterlichen Familie des Spenders (bzw. der Familien der Grosseltern oder gar Urgrosseltern) gruppiert. Sie wissen freilich nicht, welche die mütterliche und welche die väterliche Seite ist. Und Sie wissen auch noch nicht, wo die Linie entstanden ist, nach der Sie suchen.

Wieder verlassen wir die Datenbanken für einen Moment, um den nächsten Schritt zu planen: Wir haben also zwei Familien gebildet. Von diesen beiden Familien kennen wir zwar erst einige wenige Mitglieder – aber es sind zwei Familien. Nun wissen wir, dass zwei Vertreter dieser Familien miteinander ein Kind – nämlich den Spender oder seine Eltern oder seine Grosseltern – gezeugt haben. Im nächsten Schritt werden wir diese Verbindung suchen. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Verbindung von Spender-Mutter und Spender-Vater oder Spender-Grossmutter und Spender-Grossvater irgendwo dokumentiert worden ist. Diese Verbindung suchen wir. Sie führt uns geradewegs zum Spender.

Es folgt: Genealogie

Nun verlassen wir die Genetik. Sie hat uns gut gedient und wir haben die nahen Verwandten identifiziert. Nun verlassen wir auch die Lebenden und wenden uns den Toten zu. Das Puzzle beginnt: Sie rekonstruieren die Stammbäume Ihrer Treffer. Das tönt einfach, ist aber eine grosse Arbeit. Stellen Sie sich darauf ein, dass sie von Ihren Treffern (die in der Gegenwart leben, ansonsten sie keinen Test hätten machen können) bis zu 6 Generationen zurück recherchieren müssen und Ihre Stammbäume mehrere Hundert Personen umfassen werden. Sie werden zu Beginn nur Fragmente von Stammbäumen haben, aber wenn Sie weiter recherchieren, werden Sie die Verbindungen dieser Puzzleteile finden. Nach und nach werden Sie erfahren, wie Ihre Treffer in den beiden Gruppen miteinander verwandt sind. Für diese Recherchen brauchen Sie Kirchenregister, Todesanzeigen, die Aufzeichnungen von familysearch.org (viele Kirchenbücher sind dort durchDigitalisierung der Mikrofilme online abrufbar)  und – sehr ergiebig – Stammbäume, welche im Internet abrufbar sind (auf myheritage oder geneanet z.B.), wenn jemand sie dort eingestellt hat.  Dahinter steht natürlich die Hoffnung, dass der Stammbaum die biologische Wahrheit abbildet. Wenn es ein Kuckuckskind drunter hat, fällt die betreffende Linie für Ihre Recherche weg. Nutzen Sie das Wissen Ihrer Verwandten: Kontaktieren Sie sie und sagen Sie Ihnen, dass Sie verwandt sind und die Verbindung recherchieren. Bitten Sie sie, Ihnen Angaben zu Grosseltern und Urgrosseltern zu machen. Es ist wichtig, dass Sie möglichst rasch auf die Urgrosseltern-Generation kommen, weil dort die Daten einfacher zu recherchieren sind. Und wichtig: Sagen Sie nicht, wonach Sie wirklich suchen. Nach unserer Erfahrung stoppt die Kommunikation abrupt, wenn das Gegenüber realisiert, dass irgendwo in der Familie etwas faul ist.

Auf diese Weise finden Sie heraus, was die beiden Familien verbindet. Wahrscheinlich finden Sie nicht die Eltern des Spenders, sondern dessen Eltern oder Grosseltern, welche die Verbindung begründet haben – und die Linie begründet haben, die Sie hervorgebracht hat. Wegen dieser Verbindung sind wir mit Vertretern beider Familien – Ihren nahesten Treffern aus den Datenbanken – verwandt. Dann folgten Sie dieser Linie nach unten. Hier helfen meistens Todesanzeigen weiter.

Der Rest ist Profiling

Erinnern Sie sich an die Geschichte vom Golden State Killer? Nun werden Sie zum Profiler. Der Stammbaum Ihrer Linie, den Sie vor sich haben, dürfte noch immer Dutzende Personen beinhalten. Nur: Welcher ist der Spender? Gesucht wird: ein Mann mit einem Bestimmten Jahrgangs-Range: Ein Spender ist zwingend männlich und spendete wohl im Alter zwischen 20-40 Jahren (eine Hypothese). Es fallen also in dieser Linie alle Frauen und Männer (die nicht diese Jahrgänge haben, die Sie gezeugt haben können) weg. Als Hypothese dient weiter der Wohnort zur Zeit der Spende: Wer in Genf lebte, spendete nicht in St. Gallen. Das Internet weiss vieles, seien es CVs mit Hinweisen zu Ausbildungsorten oder Angaben auf Websiten von Vereinen. Es bleiben einige wenige potentielle Spender übrig. Darunter den Gesuchten zu identifizieren, überlassen wir Ihnen.