
Artikel aus: „TAGESANZEIGER“ vom 30.01.2021
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Schweizer Premiere Erstmals kann ein Kind den eigenen Samenspender treffen. Eine Wende im Umgang mit künstlichen Erzeugern. Doch die neue Praxis birgt Probleme – und sie bleibt vielen Betroffenen verwehrt, wie die Geschichte von Terry zeigt.
Text Roland Gamp Foto Susanne Keller
Noch nie zuvor habe er seinen Vater «grännen» gesehen, sagt Terry. Doch während einer Autofahrt im Sommer 1996 hat der fast zwei Meter grosse Hüne plötzlich Tränen in den Augen. «Er sagte, mit seinem Körper stimme etwas nicht. Dass er keine Kinder zeugen könne. Dass er nicht mein Papi sei.» Die Lebenslüge des Ehepaars aus dem Bernbiet, damals bereits 18 Jahre lang streng gehütet, fällt innert Sekunden in sich zusammen. Aber so sehr es nun aus dem Vater herausbricht, so ruhig bleibt sein vermeintlicher Sohn. Richtig überrascht sei er nicht gewesen, sagt Terry heute. Er sei in einem zerrütteten Elternhaus aufgewachsen. «Ich hatte schon immer das Gefühl, nicht zu Hause zu sein, nicht richtig in die Familie zu gehören. Von diesem Moment an wusste ich, warum.» Terry wurde per Samenspende gezeugt. So wie rund 220 Mädchen und Buben pro Jahr in der Schweiz. Von wem? Darüber ließ man Spenderkinder lange im Ungewissen. Doch jetzt lüftet sich das Geheimnis. Möglich macht es das Fortpflanzungsmedizingesetz. Es schreibt vor, dass Daten von jedem Spender hinterlegt werden müssen – sonst drohen Strafen. Name, Wohnort, Geburtsdatum gehören rapportiert, auch der Beruf, Resultate der medizinischen Voruntersuchung sowie «Angaben zur äußeren Erscheinung ». Wer will, darf Fotos von sich beilegen. Auch die Empfängerinnen müssen gewisse Daten angeben. Nur so kann es später gelingen, den Erzeuger eines bestimmten Kindes zu finden.
Erster Treffer im Register
In Kraft sind diese Vorschriften zwar schon seit 2001. Doch erst jetzt kann das entsprechende Register seine Wirkung entfalten. Denn die künstlich gezeugten Kinder müssen volljährig sein, um beim Eidgenössischen Amt für das Zivilstandswesen (EAZW) Auskunft zu erhalten. Und genau das ist jetzt geschehen. Ende 2020 ging zum ersten Mal überhaupt ein Gesuch in Bern ein und wurde mittlerweile positiv abgeschlossen, wie es auf Anfrage heisst. Angaben zu den involvierten Personen macht das Amt nicht, die Betroffenen hätten um Diskretion gebeten. Der erste Erfolg des Registers markiert eine Wende im Umgang mit künstlichen Erzeugern, weg von der Anonymität hin zur Offenheit. Eine wichtige Entwicklung, findet Terry. «Die Möglichkeit, seinen biologischen Vater kennen zu lernen, ist aus meiner Sicht unabdingbar», sagt er – und zitiert fehlerfrei aus der Bundesverfassung: «Jede Person hat Zugang zu den Daten über ihre Abstammung.» Aber genau das bleibt ihm und unzähligen anderen Spenderkindern trotz dem Register verwehrt. Terry ist lange vor 2001 zur Welt gekommen. «Die Daten zu meinem Spender sind deshalb in keiner Datenbank erfasst.» Das Geständnis des Vaters brachte ihm damals neue Klarheit. Aber genauso warf es Fragen auf. Also machte sich Terry auf die Suche nach Antworten. Über die Mutter fand er heraus, dass er im Berner Inselspital gezeugt wurde – vermutlich durch die Spende eines Studenten, der sich etwas dazuverdienen wollte, so war es damals üblich. Den Eltern rieten die Ärzte, Kinder auf keinen Fall einzuweihen in ihre wahre Entstehungsgeschichte. Das würde nur Probleme schaffen. Entsprechend führte das Spital auch nicht Buch über die tatsächlichen Erzeuger. Terry jedoch hat heute eine «heisse Spur», wie er sagt. 2018 sah er, wie sich ein anderes Spenderkind in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens zum Thema äusserte. Dieser Mann sah ihm zum Verwechseln ähnlich. Also wollte es Terry genauer wissen und schickte eine Speichelprobe in die USA, um einen DNATest zu machen. «Ich hatte ganz schwitzige Hände, als ich die Resultate geöffnet habe», erinnert sich der 42-Jährige. Tatsächlich folgt eine Überraschung: «Ich erfuhr, dass ich drei Halbgeschwister habe.» Da ist Hannes, der Mann aus der «Rundschau». Aber auch Andreas aus Österreich und Stéphanie aus Frankreich. Mittlerweile sind gar noch zwei weitere hinzugekommen. Und Terry hofft, irgendwann auch auf den Spender zu kommen. «Ihn zu finden, das wäre die Krönung», sagt er. Spenderkinder, die nach 2001 zur Welt kamen, haben es dank des Registers deutlich einfacher als Terry. Aber auch bei ihnen gibt es hohe Hürden. Und keinerlei Garantien, den eigenen Erzeuger jemals kennen zu lernen. Die Kosten für ein Gesuch müssen betroffene Kinder selber übernehmen. Daraufhin tritt ein Prozess in Gang, der im Fortpflanzungsgesetz Schritt für Schritt beschrieben ist. Das EAZW sucht zuerst mithilfe von Behörden wie der Einwohnerkontrolle nach dem biologischen Vater. Was schwierig sein kann, da die hinterlegten Daten teils veraltet sind. Vor allem aber darf der Erzeuger, falls er denn auffindbar ist, den Kontakt zum Kind verweigern. Dann sind wieder die Nachfahren am Zug: «Halten Sie an Ihrem Gesuch fest, werden Ihnen die Angaben, so wie sie zum Zeitpunkt der Spende gemeldet wurden, trotzdem bekannt gegeben», schreibt das EAZW in einem Leitfaden für Spenderkinder. «Sie werden bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, dass Sie die Persönlichkeitsrechte des Spenders und dessen Anspruch auf Schutz seiner Familie respektieren müssen», heisst es weiter. «Insbesondere ist es Ihnen untersagt, mit dem Spender oder Mitgliedern seiner Familie in Kontakt zu treten.» Sonst kann der biologische Vater vor Gericht gegen sein Kind klagen.
<< Schon belastend genug >>
Anna Raggi, Präsidentin vom Fertiforum, einer Kommission der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, findet die aktuelle Lösung nicht wirklich angebracht. «Es ist schon belastend genug, wenn ein Kind erfahren muss, dass der Spender keinen Kontakt will», sagt sie. «In diesem Moment auch noch Konsequenzen anzudrohen, finde ich falsch.» Bei Bedarf dürfen sich die Spender gemäss dem Leitfaden des Bundes gegenüber ihren Nachfahren in einem Brief erklären, der dem Kind zugestellt wird. Ein Muss ist das allerdings nicht, und es kann auch darauf verzichtet werden, seine Beweggründe zu schildern. Bei diesen Voraussetzungen rät Reproduktionsmedizinerin Raggi Spenderkindern dringend zu psychologischer Begleitung. Während der Suche nach dem Spender, aber auch dann, wenn der persönliche Kontakt tatsächlich zustande kommt. «Betroffene glauben oft, dass ein Treffen mit ihrem Erzeuger alle ihre persönlichen Probleme erklären oder sogar lösen kann. Das ist natürlich eine Illusion.» Es sei enorm wichtig, die Erwartungen tief zu halten. «Aber dann könnte sich der Kontakt auf jeden Fall lohnen», sagt Raggi. «Den Spender zu treffen, kann auf der Suche nach der eigenen Identität zentral sein.» Das Kind, das sich Ende 2020 an das Amt für Zivilstandswesen wandte, hat Glück. «Der Samenspender konnte vom EAZW kontaktiert werden und hat sein Einverständnis betreffend persönlichen Kontakt mit dem Kind erteilt», sagt Sprecher Raphael Frei. Allerdings wollen viele Samenspender genau das nicht. Im Internet preisen sie ihre Dienste an. «Ich biete meinen Samen anonym Frauen aus der Schweiz an», schreibt ein Mann aus Bern. «Da ich gebunden bin, ist ein weiterer Kontakt nach der erfolgreichen Schwängerung von mir nicht erwünscht.» Ein Kandidat aus Basel führt aus: «Ich will keine Pflichten oder Rechte sowie weiteren Kontakt zu dem Kind pflegen.» Patrick aus dem Raum Zürich hat selbst schon vier Kinder. «Jetzt will ich dieses Glück auch anderen Personen ermöglichen, die selber keinen Nachwuchs haben können», sagt er im Gespräch. Bevorzugt sei die Bechermethode, aber er könne sich auch den natürlichen Weg vorstellen. Es sei mit seiner Partnerin abgesprochen. «Sie findet es gut, dass ich anderen helfen will.» Patrick liess extra ein Spermiogramm anfertigen, um seine Zeugungsfähigkeit zu belegen. Auch negative HIV- und Hepatitis-Tests kann er vorweisen. Erst im Dezember schrieb der Mittvierziger seine Dienste online aus. Ein Paar hat er bereits zum Gespräch getroffen, mit diesem scheint die künstliche Befruchtung nach einem positiven Eindruck zustande zu kommen. Mit drei weiteren Interessenten steht Patrick in schriftlichem Kontakt. Dass eine anonyme Spende verboten ist, ist ihm bewusst. «Ich werde meine Daten hinterlegen», sagt er. Danach müsse man schauen. «18 Jahre sind eine sehr lange Zeit. Wie ich auf eine Kontaktanfrage reagieren würde, weiss ich noch nicht.» Wenn dem Kind etwas fehle, wenn es Antworten suche, könne er sich ein Treffen vorstellen. «Aber es ist auch klar, dass ich nur der biologische Vater bin. Ich will keinen regelmässigen Kontakt und zu jedem Kindergeburtstag gehen», sagt Patrick. «Das Emotionale, aber auch das Finanzielle muss Sache des erziehenden Paares sein.»
Fast alle Spender weg
Das Gesetz ist auch in dieser Beziehung aufseiten der Spender. Es hält fest: «Ist ein Kind durch eine Samenspende gezeugt worden, so ist die Vaterschaftsklage gegen den Samenspender ausgeschlossen. » Die Betroffenen können dadurch auch keinen Unterhalt geltend machen. Es gehe darum, die Interessen aller Parteien zu berücksichtigen, sagt Dr. Peter Fehr. «Jene der Kinder in erster Linie, denn sie hat ja niemand gefragt, ob sie mit einer Spende gezeugt werden wollen.» Aber auch die Spender müssten genügend geschützt sein. «Denn sonst findet man gar niemanden mehr, der dazu bereit ist, mit seinem Sperma anderen zu helfen.» In der Folge würden Paare ihre Suche in Länder verlegen, wo die künstliche Befruchtung viel weniger streng reguliert ist. Fehr ist ärztlicher Leiter der Fruchtbarkeitsklinik OVA-IVF in Zürich, die einer der grössten Samenbanken in Europa betreibt. Allerdings verlor sie vor Einführung des Fortpflanzungsmedizingesetzes fast sämtliche Spender. «Wir schrieben alle von ihnen an und informierten, dass neu die Personalien hinterlegt werden müssen. Damit waren die meisten natürlich überhaupt nicht einverstanden.» Es habe sich damals zur Jahrtausendwende um Männer gehandelt, die sich kurz einen kleinen Zustupf verdienen wollten. «Heute ist das dank der neuen Regelung ganz anders», sagt Fehr. «Wir haben vor allem Spender, die sich aus altruistischen Gründen zur Verfügung stellen, weil sie helfen wollen.» Man habe aber auch die Spesen etwas erhöht, neu zahle die Klinik insgesamt 2000 Franken Spesen pro Spender. «So konnten wir über die Jahre wieder einen guten Stamm aufbauen und haben heute sogar eine Warteliste von rund 100 Personen», sagt Fehr.
Der Papi und der Erzeuger
Dem ärztlichen Leiter zufolge hat sich nicht nur die Einstellung der Spender gewandelt. Sondern auch jene der Empfänger. Früher habe der Grossteil der Paare ein Geheimnis aus der Samenspende gemacht. Heute hingegen spreche die Mehrheit seiner Kunden offen über das Thema, auch mit dem Kind. «Patchwork-Familien sind heute normal», sagt Fehr. «Und vermutlich ist auch die Zeugungsunfähigkeit von Männern nicht mehr so ein Tabu wie noch vor 20 Jahren.» Dieser Wandel, die Ehrlichkeit der erziehenden Paare, ist zentral. 4126 Geburten nach einer Samenspende hat das Bundesamt für Gesundheit seit dem Jahr 2001 in der Schweiz erfasst. Nur wenn diese Kinder wissen, dass sie von einem Spender stammen, können sie auch ein Gesuch einreichen, um Für verschiedene Fachleute ist klar: Kinder sollten offen über ihre Herkunft informiert werden. «Eltern sollten die Samenspende nicht geheim halten», sagt etwa Anna Raggi vom Fertiforum. «Fast immer kommt die Wahrheit irgendwann heraus. Sei es, wenn eine eingeweihte Person etwas ausspricht, durch einen Zufall oder einen DNATest. » Es seien genau diese Kinder, die danach leiden und in lange Identitätskrisen geraten. «Wer schon früh erfährt, wie er entstanden ist, kann sich ausführlich damit auseinandersetzen », so Raggi. «Dann besteht oft gar kein Bedürfnis mehr, den Spender zu treffen.» Wer hingegen einen «Schock» erlebe, nachdem ihm ein Leben lang etwas vorgemacht worden ist, der stelle die Vaterfigur viel eher infrage. Und sei danach oft über Jahre von einer Neugierde getrieben, den biologischen Erzeuger zu treffen. Terry verspürte keinen eigentlichen «Schock», damals, als sein Vater im Auto in Tränen ausbrach. Für ihn ist völlig klar, dass der Mann, der ihn aufzog, sein «Papi» ist. Und der anonyme Spender vom Berner Inselspital nur der «Erzeuger». Wichtige Fragen haben Terry und seine Halbgeschwister aber dennoch. Sie hoffen, dass sich mittels DNA-Test weitere Verwandte finden lassen, deren Stammbaum in der Folge auf den tatsächlichen Samenspender schliessen lässt. Sollte es irgendwann klappen, so drängen sich laut Terry ganz verschiedene Themen auf. «Da ist zum Beispiel seine Krankengeschichte, die ich bis heute nicht kenne. Ich habe keine Ahnung, ob ich vorbelastet bin, was natürlich ein Problem ist, wenn man Kinder will.» Der 42-Jährige hätte auch ganz persönliche Fragen: Was war der Beruf des Samenspenders? Was sind seine Stärken und Schwächen? «Aber damit würde ich nicht direkt über ihn herfallen», sagt Terry. «Ich würde ihm einfach einmal eine Minute ruhig gegenüberstehen. Und beobachten, ob wir uns ähnlich sind.»
Die Samenspende in Zahlen
4126 Spendergeburten registrierte das Bundesamt für Gesundheit zwischen 2001 und 2019. Das sind rund 220 Kindern pro Jahr.
80 Jahre lang werden die Daten der Samenspender im nationalen Register aufbewahrt. Automatisch nachgeführt werden sie nicht – bei Bedarf muss das behandelte Paar aktuelle Angaben nachliefern.
895 registrierte Samenspender gab es gemäss Statistik des Bundes in der gleichen Periode. Somit kamen auf einen Erzeuger im Durchschnitt 4,5 Kinder. Mit den Spermien des gleichen Mannes dürfen maximal acht Kinder gezeugt werden.
150 Franken Bearbeitungsgebühr pro Stunde müssen Spenderkinder zahlen, wenn sie ein Gesuch zur Kontaktaufnahme einreichen. Der Bund rechnet im Durchschnitt mit zwei Stunden Aufwand pro Fall.
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